Sirialismus bezeichnet vorrangig eine künstlerische Strömung, die sich in den späten 1990er Jahren entwickelt hat. Sie beschränkt sich allerdings nicht nur auf den künstlerischen Aspekt, sondern umfasst ebenso eine geistige Lebenshaltung oder Lebenskunst, einen philosophischen sowie literarischen Ausdruck und reicht in seinen Ausläufern sogar bis zu gesellschaftspolitischen Ansichten.
Auf den Sirialismus in seiner heutigen Form haben über mehrere Jahrzehnte verschiedene Strömungen Einfluss genommen. In künstlerischer Hinsicht sind hier vor allem der Surrealismus, der Dadaismus, die Pop-/Street- und Urban Art aber auch der Jugendstil zu nennen.
Idealistisch, philosophisch und gesellschaftspolitisch lassen sich Einflüsse sowohl von Punk als auch von der existenzialistischen Strömung erkennen.
Zusammengenommen lässt sich immer eine klare Abneigung gegen vordefinierte Klassensysteme, konservative Strukturen und fragwürdige Gesellschafts- und Sozioideale erkennen. Dies führt zugleich zum übergreifenden Kernmerkmal des Sirialismus – die stete Auseinandersetzung mit dem Spannungsfeld Perfektionismus vs. Spontanität.
Die Spontanität zeigt sich in einer fast schon trotzhaften Do-it-yourself-Haltung und einer sehr ausgeprägten antikulturellen Ausdrucksform, die in ihren parodistischen Zügen deutliche Merkmale des Dadaismus zeigt. Die oftmals wilde Ästhetik, lässt deutlich den Punk erkennen, wobei dem Einfachen, Schlichten, oftmals Dreckigen oder Kaputten ein großer Stellenwert zukommt. Aber auch die entschiedene Gegenhaltung zu Konsum und Geschmacklosigkeit, der die Massen verfallen sind als Ausdruck von absoluter Genügsamkeit wichtige Komponenten.
Weiterhin geht damit die Ablehnung der konventionellen Kunstszene mit ihren ungeschriebenen Gesetzen und eigenen Mechanismen einher. Die Parodisierung der Tatsache, dass die Szene durch ihre Selbstverherrlichung eine Exklusivität erzeugt und damit einer breiten Öffentlichkeit verschließt, ist somit mehr als logische Konsequenz. Vor allem der Umstand, dass ein sehr intellektueller Konsumentenkreis konstruiert wird, der Kunst als einen Wirtschaftsfaktor versteht, in welchem die Hauptakteure, nämlich – wenn man so will – Konsument und Produzent, nicht partizipieren, ist eine Übergriffigkeit die der Sirialismus ablehnt.
Das was der Sirialismus daher immer wieder anstrebt und sucht, ist der sinnbildliche Schrei und der Wunsch nach Zerstörung als unmittelbarste, roheste und unverfälschteste Ausdrucksform eines Verlangens nach dem Erkennen der Absurditäten des Lebens und des gesellschaftlichen Zusammenspiels. Eine Annäherung daran findet Ausdruck in Fragen, bzw. dem Streben nach Antworten, auf Fragen, die nicht gestellt wurden und dennoch unweigerlich wie ein Damoklesschwert über jedem von uns hängen. Eine Auseinandersetzung mit Fragen und Antworten ist folglich etwas, was der Sirialismus potenziell jedem zugänglich machen möchte. Kunst und Denken zum Menschen, aufwecken, aufrütteln, bewusst Exklusivitäten durchbrechen und Zugänge schaffen, indem Kunst zu den Menschen gebracht werden und man nicht wartet, bis sie kommen oder sich willkommen fühlen. Jeden soll sich dazu einladen fühlen, sich mit sich und der Welt auseinanderzusetzen.
Hier lässt sich auch die Brücke zur Street und Urban Art schlagen. Die plakative Charakterisierung von Kunst, Gedanken und Denken in dieser Kunstform beschränkt den Zugang zu Fragen über Sinn, Sinnhaftigkeit und Unsinnigkeit eben nicht mehr auf bestimmte Gesellschaftsschichten und durchbricht eine Form der Diskriminierung, die als akzeptiert gilt.
Die Nähe des Sirialismus zur Street und Urban Art lässt sich auch mit dem Wunsch nach Ästhetik erklären. Die farbliche Gestaltung unserer Umgebung und Städte als Antwort auf die zunehmende Verhässlichung ist nur eine konsequente Fortführung was bereits im Jugendstil als Reaktion auf die mit der Zeit einhergehenden Industrialisierung begann.
Die strake Neigung des Sirialismus zum Jugendstil ist nicht zuletzt Ausdruck eines Perfektionismus, der sich in dem Streben nach ästhetischen Ausdrucksformen und der fast schon zwanghaften Suche nach Schönheit, Symmetrie, Harmonie und Stimmigkeit äußert. In Form und Farbe steht dieser daher oft der Spontanität im Weg, ist aber vielleicht gerade deshalb immer wieder Quell von quälender Auseinandersetzung auf der Leinwand oder im literarischen Kontext.
Die Sehnsucht nach Gefallen und Akzeptanz ausgedrückt durch unangreifbare und unanfechtbare Schönheit könnten hierfür mögliche Beweggründe sein. Für dieses immer wiederkehrende Spannungsfeld finden sich durchgängig Anzeichen. Die Vertreter des Sirialismus zeichnen sich beispielsweise auf der einen Seite oft durch schlichte Eleganz und Ästhetik aus. Sowohl in ihren Bewegungen, ihrer Körperhaltung als auch in ihren sprachlichen Ausdrucksformen oder in der Kleidung. Dem entgegen steht allerdings oftmals auch eine wilde Ästhetik, die den Punk erkennen lässt, indem dem Einfachen, dem Schlichten, oftmals als dreckig oder kaputt bezeichneten, ein großer Stellenwert zukommt.
Nicht zuletzt findet sich auch über die Einflüsse des Surrealismus eine Ablehnung traditioneller Normen in Form einer Auseinandersetzung mit dem Traumhaften, Unbewussten, Absurden und Phantastischen. Dies drückt sich sowohl im Sprachlichen als auch im bildnerischen aus. Stets bleibt die Gedankenwelt hinter den Werken verschlossen und in ihrer Bedeutung offen. Das bewusste Spiel mit dem Verlangen des Betrachters nach Klarheit, Klärung, Antwort ist nicht nur Quell für die Werke, sondern bleibt ein sehr wichtiges Stilmittel, da durch dieses überhaupt initial eine Auseinandersetzung einsetzt. Freilich setzt dies eine Bereitschaft des Betrachters oder Lesers voraus sich auf diesen Prozess der Unklarheiten, Annäherungen und Fragen einzulassen und sich auf einen philosophischen Diskurs zu begeben, der im Gespräch mit sich selbst, Begleitern oder einem Sirialisten erfolgen kann. Der Anspruch an das Ergebnis lautet nie, eine oder die Antwort zu finden, sondern eine Gefühl zu erzeugen, welches vielleicht unfassbar bleibt aber in sich eine Reaktion auslöst, die einen Gedanken zurücklässt oder den Betrachter im besten Fall dazu bewegt mit sich in Konsequenz zu gehen.
Der Existenzialismus mit seiner Grundhaltung, dass der Mensch sich selbst nur im Erleben seiner selbst versteht und seinem unerschütterlichen Glauben an die Freiheit, die Selbstbestimmtheit und der folglichen Subjektivierung seiner Selbst zur absoluten Befreiung des Menschen zu seinen eigenen Möglichkeiten sind eine wichtige Existenzgrundlage des Sirialismus. Nicht zuletzt weil diese Grundhaltung wiederrum viele moralische, ethische, soziale und gesellschaftliche Fragen aufwirft, die zwangsläufig zu stellen sind, sobald der Einzelne, das Subjekt auf eine Umwelt trifft.
Musikalische Strömungen, die dem Sirialismus nahe stehen sind oftmals reine Ausdrucksform der soeben beschriebenen Wertgrundsätze. So können die Melodien und Texte, sowohl einen sehr poetischen und surrealistischen Charakter haben, gleichzeitig aber auch dadaistisch geprägt sein oder gar romantisch.
